Digitale Lernfabrik

Im Rahmen des Förderprogramms "Exzellenzzentren an Berufsschulen" des Kultusministeriums Bayern ist an unserer Schule die "Gläserne digitale Lernfabrik" entstanden. Ziel der Initiative ist, Auszubildende auf die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt bestmöglich vorzubereiten.

Die Augsburger Berufsschulen I, IV und VII haben sich zu einem Bewerbungsverbund zusammengeschlossen, um die von dieser Initiative angesprochenen Berufe

  • Elektroniker/-in
  • Mechatroniker/-in
  • Industriemechaniker/-in
  • Fachinformatiker/-in
  • Industriekaufmann/-frau

gemeinsam an einer hochtechnisierten Anlage arbeiten und lernen zu lassen.

Der Freistaat Bayern trägt im Rahmen des Projekts "Exzellenzzentren an Berufsschulen" 50 Prozent der förderfähigen Gesamtkosten für die technische Ausstattung, die andere Hälfte übernimmt die Stadt Augsburg als Träger der kommunalen Berufsschulen in Augsburg.

Aufbau

Die digitale cyber-physische Lernfabrik wird für Ausbildungszwecke im Bereich der automatisierten und digitalen Produktion eingesetzt. Die Qualifizierung von angehenden Facharbeitern für die Anforderungen des Arbeitsmarktes von morgen steht dabei im Fokus.

Die digitale Lernfabrik ist modular aus einzelnen Stationen aufgebaut, die miteinander kombiniert, vernetzt und von Produktionssegmenten zu einer gesamten Anlage erweitert werden können.

  • Station Lager Produktionsträger: Diese Station dient zum Ein- und Auslagern der Produktionsträger.
  • Station Rohlager: Diese Station dient als Magazin, um Unterteile der Produktgehäuse ein- und auszulagern.
  • Station Befüllung: Diese Station dient der Befüllung der Produktgehäuseunterteile mit individuell auswählbaren Schüttgütern.
  • Station Bestückung: Diese Station dient der Bestückung der Produktgehäuseunterteile mit individuellen Produktgehäuseoberteilen.
  • Station Presse: Diese Station dient der Montage bzw. Demontage der Produktgehäuse.
  • Station Produktlager: Diese Station dient zum Ein- und Auslagern von Produktträgern, die mit fertigen Produkten bestückt sind.
  • Leitstand: Leitstand zur Auftragssteuerung und -überwachung.

Sämtliche technischen und programmtechnischen Grundlagen sowie alle Funktions- und Produktionsprozesse der digitalen Lernfabrik und der Geschäftsprozesse von der Produktionsplanung bis hin zur Fertigung können mithilfe der vorhandenen Baugruppen vermittelt werden.

Die anfallenden Daten werden durch zukunftssichere Internettechnologien (MQTT, OPC-UA) zur Verfügung gestellt. Diese Daten können durch übergeordnete Softwaresysteme (SAP4school, Node-Red) ausgewertet und weiterverarbeitet werden und dienen so der Produktionsoptimierung. Alle Aspekte einer modernen, zukunftsorientierten Produktion können mit Hilfe des Einsatzes neuester Technologien abgebildet werden.

Die Ausbildung und das Training sind auf die jeweiligen Lerninhalte ausgerichtet:

  • Konfiguration und Programmierung von Steuerungen und dezentraler Peripherie (Siemens TIA-Portal)
  • Visualisierung von Automatisierungssystemen (HMI, SCADA)
  • Sensorik (binäre, analoge Sensoren, IO-Link)
  • Pneumatik (Magnetventile, Zylinder und andere druckluftgesteuerte Aktoren)
  • Antriebstechnik (Elektromotoren, Leistungselektronik, Regelungstechnik, Frequenzumrichter)
  • Industrielle Kommunikation (Industrial Ethernet, Profinet, OPC-UA, MQTT ...)

Für die Kommunikation innerhalb des Systems ist das intelligente Produkt zuständig. Über die an den Produktionsträgern angebrachten RFID-Tags werden in den Stationen die einzelnen Produktionsschritte abgerufen, durchgeführt und deren fehlerfreie Ausführung überwacht.

Die Betriebsdaten jeder Produktionsstation werden über die angeschlossenen Sensoren erfasst. Das Einrichten einzelner Stationen oder der Gesamtanlage im Automatikmodus ist auch ohne Programmierkenntnisse über die verwendeten vorprogrammierten Touch-Panels gewährleistet.

Digitaler Zwilling

Für jede mechatronische Station ist ein Digitaler Zwilling vorhanden. Der Programm- bzw. Funktionsablauf kann mit dem Digitalen Zwilling identisch mit der realen Anlage am PC dargestellt werden. Somit kann der Funktionsablauf einer oder mehrerer Produktionsstationen an jedem PC-Arbeitsplatz simuliert und getestet werden. Der Digitale Zwilling ist ein lauffähiges Programm, das mit industriell eingesetzter Software (Siemens NX) betrieben wird. Ebenfalls ist es möglich, alle zukünftigen realen Veränderungen und Erweiterungen auch digital als CAD-Modell in den Digitalen Zwilling zu integrieren.

Ebenen der Automatisierungstechnik

Automatisierungspyramide nach Siepmann (2016)

Automatisierungspyramide

  • Unternehmensebene: Ein ERP-System, auch Topfloor genannt, beinhaltet die Produktionsgrobplanung und Bestellabwicklung der industriellen Fertigung.
  • Betriebsebene: Basierend auf der Betriebs-, Maschinen- und Personaldatenerfassung übernimmt ein MES die Steuerung, Lenkung und Kontrolle einer Produktion und bildet das Bindeglied zwischen Maschinensteuerung und Unternehmensebene. Das MES dient vor allem der Produktionsfeinplanung sowie -datenerfassung und übermittelt entsprechende Daten an das ERP-System.
  • Die Leitebene beschreibt die Darstellung der Steuerung sowie Warnmeldungen über Prozessleit-, HMI- und SCADA-Systeme. So dient die Leitebene in Form einer Mensch-Maschine-Schnittstelle als Bedien- und Beobachtungssystem.
  • Die Steuerungsebene verarbeitet mittels einer SPS Sensordaten (Eingangssignal) und gibt anschließend die Ergebnisdaten (Ausgangssignal) an die Feldebene zurück. Die Steuerungsebene ist demnach maßgeblich an einer dezentral organisierten Maschinen- und Anlagensteuerung beteiligt.
  • Zur Feldebene zählen sowohl Sensoren als auch Aktoren. Hier werden produktionsrelevante Informationen in Form von Ein- und Ausgangssignalen verarbeitet.
  • Prozessebene: Die unterste Ebene der Automatisierungspyramide umfasst die Fertigung und den Produktionsprozess. Intelligente Produkte oder RFID-Chips stellen aus der Prozessebene Informationen zu Produkteigenschaften und Produktionsschritten bereit.

In den oberen Ebenen befinden sich komplexe Rechnersysteme. Es dominieren große Datenmengen mit unkritischen Reaktionszeiten, großen Teilnehmerzahlen und eine weite Ausdehnung der Netzwerke. Die Kommunikation in den unteren Ebenen ist durch geringe Datenmengen und einem hohen Informationsdurchsatz bei kleinen Teilnehmerzahlen geprägt. Hier stehen Echtzeitanforderungen und erhöhte Verfügbarkeit im Vordergrund. Die Netzausdehnung ist meist eher klein.

ERP und MES

Als ERP-System wird SAP4School in Verbindung mit dem Einsatz der realen Produktionsstationen und dem Produktionsprozess der digitalen Lernfabrik eingesetzt. Durch die nahtlose Integration der Produktionsstationen in SAP4School IUS mittels SAP ME/MII können mit den vorgegebenen Lernmaterialien Geschäftsprozesse von der Produktionsplanung bis zur Fertigung verfolgt werden. Im gesamten Geschäftsprozess muss das verwendete Produkt mit dem realen zu fertigendem Produkt optisch übereinstimmen. Somit soll die didaktische Praxis am ERP-System mit der realen Lernfabrik kombiniert werden können.

Modernes und erfolgreiches Lernen durch Anwenden, Interaktion und Kollaboration

Das Arbeiten mit dieser digitalen Lernfabrik steht ganz im Zeichen einer modernen handlungsorientierten und anwendungszentrierten Berufspädagogik. Die Zusammenarbeit in Kleingruppen und von verschiedenen Berufen mit einem gemeinsamen Ziel (Coworking) bildet den beruflichen Anforderungskatalog in einer modernen Arbeitswelt realitätsgetreu ab und ermöglicht den Schülern eine optimale Vorbereitung auf ihre Aufgaben von morgen.

Glossar zu Industrie 4.0

  • Industrie 4.0: Projekt zur umfassenden Digitalisierung der industriellenProduktion.
  • Cyber-physisches System (CPS): Verknüpfung eines mechatronischen Systems mit softwaretechnischen Komponenten.
  • IoT (Internet of Things): Im "Internet der Dinge" kommunizieren (cyber-)physische und virtuelle Systeme miteinander. Bei Anpassung der Komponenten an industrielle Erfordernisse spricht man auch vom "Industrial Internet of Things" (IIoT).
  • RFID (Radio-Frequency Identification): Technologie zum berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten.
  • ERP (Enterprise-Resource-Planning): Planen, Steuern und Verwalten von betrieblichen Ressourcen (Personal, Maschinen, Rohstoffe ...).
  • MES (Manufacturing Execution System): System zur bedarfsgerechten und effizienten Steuerung der Fertigung bzw. von Automatisierungssystemen.
  • HMI (Human Machine Interface): Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine z. B. Bedienpanel, Leitstand zum Visualisieren eines mechatronischen Systems.
  • SCADA (Supervisory Control and Data Acquisition): Überwachen und Steuern technischer Prozesse über ein Computer-System (Leitstand).
  • SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung): Die SPS (engl. programmable logic controller, PLC) dient zur Steuerung oder Regelung einer Maschine oder Anlage und wird über ein Programmiergerät (PC) mit einer Programmiersoftware (z. B. TIA-Portal, Codesys) programmiert. Die SPS stellt über Profinet/Industrial Ethernet die Verbindung zu Betriebsebene, Leitebene und weiteren Geräten der Steuerungsebene her. Sie kontrolliert die Aktoren und Sensoren der Feldebene. Dies geschieht direkt durch digitale und analoge Ein-Ausgabe-Baugruppen bzw. unter Verwendung von dezentraler Peripherie mit IO-Link oder AS-Interface.
  • Profinet (Process Field Network): Offener Standard zur Nutzung von Ethernet im industriellen Umfeld (Industrial Ethernet). Profinet ermöglicht die Einbindung dezentraler Peripherie in ein Automatisierungssystem mit Echtzeitfähigkeit.
  • IO-Link: Anbindung von intelligenten Aktoren und Sensoren an ein Automatisierungssystem.
  • OPC-UA (Open Platform Communications Unified Architecture): Plattformunabhängige server-orientierte Architektur für den Datenaustausch zwischen MES und Automatisierungssystemen.
  • MQTT (Message Queuing Telemetry Transport): Netzwerkprotokoll für die asynchrone Kommunikation zwischen Komponenten eines technischen Prozesses über einen gemeinsamen MQTT-Broker.